ANA1-13 Grenzübertritt

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Die nächsten beiden Tage fuhren sie weiter Richtung kasachische Grenze. Der Laster hatte etwa 20 Einschusslöcher abbekommen, schien aber weiterhin einwandfrei zu funktionieren. Iwan war sichtlich guter Dinge und redete viel über sich, während er den Laster steuerte. Igor fungierte als Beifahrer und Ersatzfahrer. Tulcinea saß auf der Rückbank und war eher wortkarg. Und Benno der Hund befand sich auf der Ladefläche oder manchmal stundenweise auch auf dem Rücksitz, wo ihm dann von Tulcinea der Rücken gekrault wurde. Das würde mir auch gefallen, dachte Igor bei sich.
Dem Geplauder von Iwan folgend, hatte Igor trotzdem viel Zeit über sich und die Geschehnisse nachzudenken.
Igor war ja nur hier, weil Iwans Geliebte ihn beauftragt hatte, diesen zu beschatten. Von Beschatten konnte aber nun keine Rede mehr sein, denn für eine Beschattung war er zu nahe am Geschehen.
Einem spontanen Einfall folgend fragte er Iwan, wie es bei diesem denn so familiär lief. Eigentlich ein NoGo bei einer Beschattung, aber die Frage schien ihm trotzdem passend zu sein.
„Also mit den Frauen hatte ich bisher kein Glück. Irgendwann wird die Richtige schon noch kommen. Aber derzeit, hm, wie soll ich sagen, die Damen fliegen halt nicht gerade auf mich.“
Ein recht offenherziges Eingeständnis. Leider wollte Iwan nicht über seine Affäre sprechen. Schade, denn hätte Iwan Marjeka erwähnt, wäre zumindest der ursprüngliche Auftrag hieb- und stichfest.
Was ihn noch viel mehr beunruhigte, war die Art seiner Genesung. So froh er über diese ‚Wunderheilung‘ war, er konnte sich zu gut an den Überfall erinnern, um Iwan und Tulcinea die Geschichte mit der ‚leichten Verletzung‘ und dem ‚Durchschuss‘ einfach so abzunehmen. Derart naiv war er nicht. Und seine Beobachtung mit dem Daumenfeuer war auch komisch. Entweder waren seine Sinne noch etwas trüb und er hatte das Feuerzeug oder Streichholz nicht gesehen, oder? Hm, er hätte liebend gerne seiner Sinneswahrnehmung misstraut, aber dazu kannte er sich zu gut. In dem Moment war er sehr wohl Herr seiner Sinne und voll aufmerksam gewesen.
Und warum fuhren sie nach Astana? Warum die ganze Reise in diesem Laster, vollgeladen mit Gerümpel und Kisten. So viel Aufwand, so viel Bestechungsgeld, so viele Gefahren, wofür?
Er traute sich nicht zu fragen und so kreisten seine Gedanken um immer wieder dieselben Ereignisse, während er nebenbei viele interessante Dinge aus der St. Petersburger Lokalszene von Iwan erfuhr.
Als sie die Grenze nach Kasachstan erreichten, war der Grenzübertritt überraschend einfach. Ein kasachischer Zöllner stellte viele Fragen zum Zustand des Lasters und wollte die Ladung kontrollieren, woraufhin Tulcinea ein paar sehr freundliche Worte mit ihm wechselte. Die Zigaretten und die Kiste Wodka wären gar nicht mehr nötig gewesen. Igor war fast eifersüchtig, als er sah, wie verliebt der Zöllner in Tulcinea am Ende war. Der Offizier bot sogar an, die Reisenden bis Astana zu begleiten, was Tulcinea aber freundlich lächelnd ablehnte.
„Den hast du aber ziemlich um den Finger gewickelt“ lachte Iwan, als die Grenze außer Sichtweite war.
„Ja, ich muss ein wenig an mir arbeiten. Das war schon fast zu viel des Guten“ schmunzelte Tulcinea und zwinkerte Igor freundlich zu. Ich versteh‘s, dachte Igor.

Previous Post Telegrafenamt Next Post