ANA1-16 Gespräch auf der Fahrt

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Die nächste Nacht verbrachten sie in einem kleinen Wäldchen an einem Lagerfeuer. Auch dort wurde nur das Notwendigste gesprochen. Erst bei der Weiterfahrt am nächsten Tag brach Iwan das Schweigen.
„Tut es noch weh?“, fragte er Tulcinea, welche einen blauen Fleck an der linken Wange gleich neben der Nase und eine angeschwollene Lippe hatte.
„Nein, geht schon“ war die kurze, patzige Antwort.
„Na, dem hast du’s aber gegeben“, sagte nun Iwan an Tulcinea gerichtet. Diese sah in scharf an.
„Er wurde ohnmächtig und seine Leute brachten ihn daraufhin ins Quartier. Sowas kann bei dem Klima hier schon mal vorkommen“ behauptete sie für Igor wenig glaubwürdig. Aber er hielt seine Bedenken zurück und fragte stattdessen weiter.
„Was hat der Offizier auf der Ladefläche gesehen?“
Die Frage war rein rhetorisch. Sie alle hatten beobachtet wie er, Igor, am Abend zuvor die Ladefläche akribisch inspiziert hatte. Er bekam auch keine Antwort.
Also setzte Igor nach.
„Wozu sammelt ihr alte Raumanzüge, Sputniks, kleine Raketenmotoren und dergleichen? Was hat es mit all den Büchern, Schallplatten, CD’s und so auf sich? Fahren wir durch die ehemalige Sowjetunion und riskieren dabei alle unser Leben nur deshalb, um einen Flohmarkt zu veranstalten?“
„Flohmarkt ist gut“, kicherte Tulcinea und auch Iwan musste grinsen.
„Was ist daran so komisch?“, fragte Igor verärgert.
„Das ist ja alles Schrott!“
„Nicht für uns“ erwiderte Tulcinea sanft.
„Betrachte uns als eine Art Philanthropen.“
„Aber das macht doch alles keinen Sinn“ brach es nun aus Igor frustriert heraus. Er war zutiefst enttäuscht, weil er Informationen erwartet hatte und sich jetzt schon wieder so trivial abgespeist wie immer erlebte.
„Woher habt ihr all das Geld für diesen Schwachsinn?“
„Igor, das macht alles sehr wohl Sinn und unsere Mission ist von größter Wichtigkeit. Lass dich nicht von oberflächlichem Krimskrams ablenken. Wir riskieren viel und betreiben einen immensen Aufwand. Glaub uns einfach, dass das Sinn ergibt“ sprach Tulcinea nun sehr eindringlich.
„Wir transportieren quasi das Erbe der Menschheit“ formulierte es Iwan etwas allgemeiner.
„Und es ist höllisch wichtig, dass wir erfolgreich dabei sind“ setzte er nach.
„Darum haben wir dich angeheuert“ schloss Tulcinea.
Es folgte eine Diskussion darüber, ob das physische Sammeln von klassischer Musik, Popmusik, Gedichtbänden, alten Raumanzügen und vielem anderen Zeugs im Internetzeitalter, wo man das alles jederzeit online abfragen und Infos dazu nachlesen konnte, wirklich bedeutsam war. Das waren ja alte Dinge. Nichts womit man z.B. mittels Industriespionage Geld machen könnte. Das war nämlich Igors bisher letzte Überzeugung – dass er an einem Spionageeinsatz teilnahm. Aber das Zeug konnte einfach niemand wollen. Höchstens ein Museum. Vielleicht arbeiteten sie ja für einen ihm noch unbekannten reichen Philanthropen, der sich ein Privatmuseum einrichten wollte, und verrückt genug war, sein Geld in großen Mengen dafür einzusetzen.
Solchen Gedanken nachhängend erblickte er die ersten Gebäude von Omsk.

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