ANA1-23 Transsibirische Eisenbahn 5

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Nachdem er aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwacht war, verließ Igor den Transportwaggon, um sich in seiner Kabine zu duschen und anschließend ausgiebig zu frühstücken. Er war froh, diese Zeit alleine zu verbringen, um seine Gedanken zu ordnen.
Brote kauend schaute er in die am Fenster vorbeigleitende Landschaft, ohne sie recht wahrzunehmen und ging im Geiste noch einmal alle Ereignisse von gestern durch. Er hatte für sich beschlossen, dass er seiner Wahrnehmung und seinem Geisteszustand trauen wollte und definierte für sich die beobachteten außerordentlichen Ereignisse deshalb als real. Nun gilt es herauszufinden warum das so ist, wie es ist, Igor, dachte er bei sich und machte sich auf den Weg zum Transportwaggon. Es war etwa 11:00 vormittags Irkutsk-Zeit.
Igor kam gerade zur rechten Zeit, um ein recht merkwürdiges Verhör mitzuerleben. An einem Stuhl gefesselt und mit Mundknebel versehen saß Marjeka auf der einen Seite des Waggons. Ihr gegenüber ebenfalls auf einem Sessel saß Tulcinea. Links von ihr stand Iwan mit verschränkten Armen und rechts von ihr saß Benno. Von Benjamin war nichts zu sehen.
Tulcinea nickte Igor zu und erklärte ihm, dass er während des Verhörs ganz ruhig neben Iwan stehen sollte. Es gäbe für ihn nichts zu tun.
Marjeka sah ihn mit großen, etwas verängstigen Augen an, wirkte sonst aber sehr ruhig und gefasst. Wie eine Frau, die nicht zu reden bereit war, dachte Igor bei sich und war gespannt, wie Tulcinea denn nun vorzugehen gedachte.
Igor lümmelte sich auf eine der Kisten, direkt neben Iwan, und harrte der Dinge.
Mit „Marjeka, ich werde dich jetzt verhören. Mach dir keine Sorgen. Es wird dir nichts dabei passieren. Sei einfach entspannt und schau mir, wenn möglich in die Augen“ begann Tulcinea das Verhör und fuhr fort
„In wessen Auftrag handelst du?“
Kurze Pause
„Wie seid ihr auf uns aufmerksam geworden?“
Längere Pause, Iwan räusperte sich
„Wer wusste sonst noch von den Edelsteinen?“
Marjeka fuhr mit weit aufgerissenen Augen hoch.
Kurze Pause
„Habt ihr geglaubt, dass ihr uns im Zug ausschalten könnt?“
Marjeka begann sich in ihren Fesseln zu winden
Längere Pause
„Wie wolltet ihr das genau anstellen?“
Längere Pause
„Was erwartet dein Auftraggeber nun?“
Kurze Pause. Marjeka begann zu wimmern.
Tulcineas Blick verhärtete sich.
„Hat man euch keine Disziplin gelehrt? Wo ist dein Stolz Oberst Miller?“
Wieder reagierte Marjeka mit weit aufgerissenen Augen auf Tulcineas Worte, blieb aber sonst ruhig.
„Wo steht das Kriegsschiff?“
Kurze Pause.
„Benno, lass sie bitte schlafen“ richtete sie ihr Wort an den Hund.
„Wir müssen uns nun um Marjekas Auftraggeber kümmern“, sagte Tulcinea an Igor gewandt.
„Wie du dem Verhör eventuell entnommen hast, sind wir in großen Schwierigkeiten und müssen unsere Pläne ändern. Wenn du uns helfen willst, dann geh jetzt mit Iwan in den Speisewagen. Er wird die richtigen Worte finden, um Fragen von dir zu beantworten.“
Sie nickte Iwan zu. Iwan fasste Igor leicht am Oberarm und dieser folgte ihm, noch einen letzten Blick auf die recht aufgelöst wirkende Marjeka werfend.
„Eure Verhörmethoden sind schon recht einseitig“ brummte Igor.
Iwan lachte herzlich und bestätigte, dass es auch ihm etwas gefröstelt hatte. Aber so sei Tulcinea nun mal, meinte er achselzuckend.
Im Speisewagen angekommen setzte er sich gegenüber Igor an einen leeren Tisch, von Mann zu Mann, von Russe zu Russe, eine Flasche Wodka in der Mitte.
„Wer seid ihr und was geht da vor?“, begann Igor das Gespräch sehr direkt.
„Nicht so schnell mein Freund. Erstmal Nastarowje, auf Mütterchen Russland!“
Sie hoben beide die Gläser, prosteten sich zu und tranken mit einem Zug aus.
„Im Prinzip ist es ganz einfach. Tulcinea, Benno und noch ein paar andere, die kommen nicht von unserer Welt. Sie sind eine Art Händler und bringen allerhand wertvolles mit, meist Edelsteine und Gold. Damit kaufen sie in der ganzen Welt alten Krimskrams, den sie in ihre Welt mitnehmen und dort vermutlich mit Gewinn verkaufen. So in der Art funktioniert das.“
„Außerirdische? Dafür sehen sie aber recht menschlich aus. Ha!“ Igors ‚Ha‘ war herausfordernd gemeint.
„Was soll ich dazu sagen? Ich habe nicht definiert wie Außerirdische auszusehen haben. Jedenfalls arbeite ich mit ihnen seit fast zehn Jahren zusammen und anfangs waren sie derart deplatziert auf ‚unserer‘ Welt, dass man ihnen das ‚Außerirdische‘ jederzeit abgenommen hatte. Sie waren angewiesen auf Leute wie mich, um überhaupt einfachste Dinge wie ein Handy bedienen, erledigen zu können.“
Igor sagte nichts und horchte aufmerksam und gespannt zu.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie unfähig und dilettantisch gerade Tulcinea ein paar Mal war. Benno war gut. Und Dargoff, also den konnte man ganz vergessen. Weil der…“
„Wer ist Dargoff?“, unterbrach Igor.
„Neben Tulcinea ist er der Kopf der Bande. Sie nennen sich ANKH, was ‚Annil knowledge harvesting‘ heißt. Vielleicht sind es ja auch keine Außerirdischen, aber sie tun öfter so. Vielleicht nur Wichtigtuerei. Aber was sie auf jeden Fall können – X-Men ist nichts gegen die. Sie haben paranormale Fähigkeiten und das kannst du keinesfalls leugnen. Schau dir z.B. an was Tulcinea mit den beiden Attentätern in ihrer Kabine angestellt hat. Hast du die Verletzungen gesehen? Das war Starkstrom, der die beiden getötet hat. Zwei erwachsene Männer greifen sich eine Frau und sterben gleichzeitig an einem heftigen Stromschlag. Kein Zitteraal bringt sowas zusammen.“
Iwan war in Fahrt gekommen und wollte gar nicht mehr aufhören über seine Auftraggeber zu reden, aber Igor unterbrach ihn mit einer bestimmenden Geste.
„Ok, dann ist es eben so. Aber wenn sie so mächtig sind, wozu brauchen sie dann uns?“
„Ich denke, sie sind halt auch nur ‚Menschen‘ und so Kleinigkeiten wie Lastwagen fahren, Ortskenntnisse, oder spezielle ‚normale‘ Fähigkeiten sind für sie von großer Bedeutung. Des Weiteren können sie ihre Fertigkeiten nur bedingt einsetzen, da sie ja nicht auffallen wollen. Die aktuelle Mission, das musst du wissen, unterscheidet sich von allen bisherigen enorm. Bis jetzt ging es immer nur darum ein wenig herumzufahren, ein paar Bücher zu kaufen, ein bisschen Musik, oder ein paar alte Gegenstände. Das war immer recht einfach. Aber diesmal“ Iwan hob die Hände theatralisch in die Höhe “diesmal ist alles anders, alles größer. Wir haben ca. fünf Tonnen Material hier im Waggon und in Wladiwostok warten noch einmal zehn Tonnen Gepäck auf uns. Das wollen die alles in ‚‘ihre‘ Welt mitnehmen. Die Mission ist ein enormes Risiko. Wie du siehst, ist uns zumindest ein Geheimdienst auf der Spur. Ich bin echt gespannt, wie das ausgeht.“
So viel hatte Iwan seit ihrem ersten Zusammentreffen in Mariupol nicht auf einmal gesagt, fiel Igor auf.
„Wenn ich das beim Verhör richtig verstanden habe, dann haben wir eine amerikanische Geheimdienstoffizierin als Gefangene und zwei ihrer Mitarbeiter führen wir als Leichname mit uns. Und die wissen, wo wir hinfahren. Ja, wenn das nur gut geht“ assistierte Igor und schenkte sich und Iwan randvoll ein.
„Nastarowje!“

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