ANA1-5 Frühstücksraum

ANA1 Igor Ukraine
Kategorie: Allgemein Autor: ANirgends

Von gierigen Polizisten im Traum verfolgt, wachte Igor schwitzend auf und brauchte eine Weile, bis er sich seines Aufenthaltsortes bewusst wurde.
Ah ja, das oberste Stockwerk des Park Hotels, gleich neben dem Zimmer des vermeintlich untreuen Iwans. Vermeintlich, weil Igor trotz funktionierender Überwachung bisher ohne Beweise dafür dastand. Das überprüfte er auch sofort, indem er durch die Aufzeichnungen der Nacht zappte – Spracherkennung an – und aus drei Stunden aktiver Aufzeichnung wurden 2,95 Stunden Schlafgeräusche ausgefiltert. Es blieb nur ein wenig Gebrabbel übrig. Die Software konnte nicht eindeutig zuordnen, ob das Gebrabbel von Iwan oder der unbekannten dritten Person stammte. Tulcinea schlief entweder geräuschlos oder war die Nacht über nicht in der Nähe von Iwans Handy gewesen.
Nach dem Abspulen der Nachtaufzeichnung ging Igor noch zweimal die Audiofiles durch, die er bereits in der Nacht gehört hatte und stockte bei den Sätzen: … „was wird Nick sagen? Reicht das für die Freiheitspartei?“ … „das Gold kommt in den Tank, oder lieber die Edelsteine?“
War Nick die dritte Person? Eher nicht, denn sie redeten über einen Abwesenden. Und was hatte es mit Gold und Edelsteinen auf sich? War er da in was Größeres hineingeraten? Igor stellte es bei diesem Gedanken die Nackenhaare auf.
Er schaute auf die Uhr: 7:30. Das war sehr früh für seine Verhältnisse, aber es konnte nicht schaden, schon mal in den Frühstücksraum zu gehen. Vielleicht konnte er die Beamten von gestern Nacht noch mal belauschen.
„Guten Morgen mein Herr!“, sagte die freundliche Dame am Frühstücksbuffet. „Was darf ich ihnen zu trinken anbieten?“
Igor überlegte kurz, ließ seinen Blick über das Angebot schweifen und bestellte einen Earl Grey mit Milch. Dazu ein Omelette mit Fisch und ein paar Brötchen. Er ging zu einem der Tische auf der Veranda und ließ sich gemütlich nieder.
Die Sonne begann sich über die Dächer der Häuser zu erheben. Igor war froh, einen schattigen Platz nahe am Hotelpool gewählt zu haben. Am Schwarzen Meer konnten bereits die Morgen an Sommertagen unangenehm heiß werden, wenn man sich falsch platzierte. Igor genoss den wirklich ausgezeichnet gewürzten Fisch und spielte ein wenig mit seinem Handy herum. Bevor er Privatdetektiv geworden war, war er eine Zeit lang für ein kleines Moskauer Unternehmen als App-Entwickler tätig gewesen und war mit Android auf Du und Du. So etwas blieb hängen und führte dazu, dass er oft und gerne Apps einfach so auf ihre Usability testete. Gerade hatte er ein Mappingtool entdeckt, welches ungewöhnliche 3D Effekte mit Multiuserfunktionalität verband. Eventuell ein gutes Werkzeug, um Teams zu koordinieren. Zum Beispiel für eine Treibjagd oder Rastersuche. Leider war die Performance miserabel und seine Prüfprogramme erkannten jede Menge Zugriffe auf private Bereiche seines Testhandys. Also wieder mal eine App, die einen ausspioniert, ohne das anzugeben. Da sollte man doch….
„Entschuldigung, ist da noch frei?“, fragte eine Person seitlich von ihm stehend. Igor sah hoch und seine Augen blitzten verwundert. Stand da doch der Leibhaftige persönlich. Natürlich nicht der Leibhaftige, aber fast – Iwan stand da und wiederholte „Ist der Platz noch frei? Überall sonst scheint schon die Sonne hin und ich habe es lieber schattig. Wenn Sie erlauben?“ Igors Nicken kurz abwartend schob Iwan mit dieser Bemerkung den Sessel zurück und ließ sich leicht schnaubend nieder. Sein Tablett hatte er bereits auf den Tisch vor sich abgestellt.
„Ist schon eigenartig, dass die vom Hotel hier so wenige Sonnenschirme aufstellen, wo doch schon seit Tagen so heißes Wetter ist, nicht wahr?“ setzte Iwan seinen Redeschwall fort und ergänzte schmunzelnd „Vielleicht haben sie die alle an die Front geschickt, um unsere Soldaten zu schützen?“
Igor lächelte höflich über den schlechten Scherz und stellte sich als Victor, Kaufmann und aufgrund des Krieges kurzzeitig hier Gestrandeter vor. „Besser hier im Park Hotel sitzen und warten, als da draußen irgendwo versehentlich von einem Querschläger getroffen zu werden, oder auf eine Mine aufzufahren und die Beine zu verlieren, oder?“ seufzte er, um seinem Standpunkt die seiner Meinung nach notwendige Tiefe zu verleihen.
„Und Sie, Herr…?“, fragte nun er den Neuankömmling.
„Also ich heiße Iwan Ignotsik, komme aus Moskau und begleite eine kleine Reisegruppe als ihr Führer. Die reisende Dame heißt Tulcinea und sie kann gut singen.“ scherzte er. „Die Bezahlung ist auch nicht schlecht. Auch wir stecken gerade fest, werden aber bald aufbrechen.“
Igor konnte jetzt schlecht wegen der geheimen Liebhaberin nachfragen. Auch eine Frage bezüglich der Buk-Raketenstellung und seine Tarnung als Reporter passte jetzt nicht mehr. Warum war Iwan nicht Raketentechniker? Oder besser, warum erfand Iwan eine andere Geschichte und redete so offen darüber?
Igor dachte fieberhaft nach, wie er die Situation zu seinen Gunsten nutzen konnte und entschied sich für den Angriff.
Also stellte er nach einigem Smalltalk über Wetter und Krieg die entscheidende Frage: „Und wo geht es mit Ihrer Reisegruppe hin? Wolltet ihr eventuell in den Donbass, bevor das hier losging?“
Iwan erklärte ihm recht freizügig, dass sie tatsächlich durch den Donbass wollten. Aber nur zur Durchreise nach Russland.
„Unser Lastwagen erlitt einen Schaden und ich hatte außerdem ein paar Tage hier zu tun. Wir fahren morgen weiter. Wenn sie wollen, können sie abends zu uns in die Karaoke Bar kommen. Tulcinea liebt es zu singen und mir schmecken die Cocktails“. Das war der letzte Satz, bevor Tulcinea begleitet von einem großen Hirtenhund an den Tisch trat und Iwan aufforderte Platz zu machen. Igor, ganz alte Schule, stand auf und stellte sich vor „Gestatten, Victor, reisender Kaufmann!“
Tulcinea lächelte ihn an, sagte „Ich weiß. Mein Name ist Tulcinea und meine Reise führte mich von Hamburg hierher nach Mariupol“, setzte sich nieder, herzte den Hund und stellte ihn als Benno vor. „Benno ist ein ganz ein braver Hirtenhund, der gut auf uns alle aufpasst.“
Der Hund knurrte ein wenig und Igor hörte auf Tulcinea anzustarren. Das Frühstück wurde in andächtiger Stille eingenommen und man verabschiedete sich höflich voneinander.

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