ANA2-0 Igor – Veranda

ANA2 Drack
Kategorie: Story Autor: ANirgends

„Noch ein Gläschen?“, fragte der Zwerg verschmitzt und Igor nickte beiläufig. Sein leicht glasiger Blick schweifte über die aus massiven Steinen bestehende Abgrenzung der westwärts liegenden Veranda. Der Ausblick war immer wieder wunderbar. Die Sonne, verschwommen und orangerot tief am Horizont flimmernd, darunter das ruhig daliegende blaue Meer, am Himmel wenige, weiße Wölkchen und direkt vor der Veranda, am Abhang, das satte Grün einiger Bäume und Büsche. Der kapiert es vermutlich nie dachte Igor träge bei sich, während er Drack den Zwerg dabei beobachtete, wie dieser mit zitternder Hand die nächste Runde Zwergenschnaps für sich und seinen Gast einschenkte. „Naßtarrowjeah mein Freund“, murmelte Drack in seinen Bart und schaute Igor aus kleinen, verschmitzten Augen an. „Geht es auch noch bei Dir? Du musst nicht austrinken.“

Aber Igor nickte nur, hob sein Glas, führte es zum Mund und ließ das köstliche Getränk langsam die Kehle hinunter rinnen. „Das schmeckt wie Heimat“, sagte er anerkennend zu Drack und bemühte sich möglichst langsame Bewegungen zu machen. Igor war stockbetrunken, aber ein Meister der Tarnung. Drack musste das ja nicht wissen. Igor genoss diesen wöchentlichen Besuch bei Drack. Zuerst wurde er jedes Mal von dessen Frau mit einem wunderbaren Mittagessen verwöhnt. Danach genossen sie leichten Wein von der Insel und redeten über das, was sie gerade so gelesen hatten, oder über etwas, das für sie von Interesse war. Kurz vor Sonnenuntergang stellte Drack dann meist seine Schachtel mit Zigarren auf den Tisch und eine schwere Flasche voller Zwergenschnaps. Aus dieser tranken sie so lange, bis einer aufgab, oder die Flasche leer wurde, was bisher immer der Fall war. Kurz nach Sonnenuntergang verabschiedeten sich die beiden mit einer kumpelhaften Umarmung voneinander. Igor torkelte über den kleinen Dorfplatz und hielt sich mit der rechten Hand an einer weiß getünchten Hauswand fest, als er in die kleine, gepflasterte Seitengasse einbog. Das dritte Häuschen links war seines. Also knapp 40 m von Drack‘s gemütlicher Veranda entfernt. Schwer atmend setzte er sich auf einen der beiden Stühle vor seiner Haustür. Auch von hier bot sich ein wunderbarer Ausblick auf das Meer. Seit etwa einem Arca-Nihil Monat, welcher 100 Tage umfasste, waren Marjeka und er jetzt auf dieser malerischen Insel und er hatte jeden Tag davon genossen. Schönes Wetter, liebe Leute, gutes Essen und Trinken. Und eine interessante, sinnstiftende Arbeit. Was konnte er mehr vom Leben erwarten? „Hast du dich schon wieder mit dem selbstgefälligen Zwerg betrunken?“, kam es verächtlich aus der vom Dorfplatz wegführenden Seite der kleinen Straße. Eine leicht gedrungene, zur Molligkeit tendierende Frauengestalt mit lockigen Haaren stand da im Halbdunkel einer neben der Straße stehenden Zeder. Igor seufzte und nahm seine Füße vom zweiten Stuhl, damit Marjeka Platz nehmen konnte.

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