ANA1-11 Das Feuerzeug

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Das nächste, was Igor wahrnahm, war der Mond. Er war fast voll, stand hoch am Nachthimmel und schien durch ein Dach aus Blättern sanft hernieder. Ein angenehmer Luftzug fuhr ihm durch das Haar und er bemerkte, dass er in eine Decke eingewickelt war. Das war etwas beengend und zu warm, weil der Abend recht mild und angenehm war. Ganz langsam verarbeitete das Gehirn die Sinneseindrücke. Sein Magen meldete sich mit einem starken Hungergefühl und der linke Arm schmerzte etwas, weil er leicht auf ihm gebettet lag.
Etwa zehn Meter entfernt inmitten einer Lichtung, saßen im Mondlicht eine Frau mit schimmerndem Haar und ein Mann nahe beisammen, zwischen sich einen kleinen Stapel Holz. Die Frau, welche er jetzt als Tulcinea identifizierte, redete in einer für Igor fremden Sprache mit dem unbekannten, stämmigen Mann. Ihre Stimme klang ernst und bestimmend. Der fremde Mann brummte manchmal Kommentare, hielt sich sonst aber zurück. Dann nahm der Mann etwas Kleines, Dünnes zwischen die Finger und Igor sah, wie Tulcinea ihren Daumen hochstreckte und auf dem Daumen eine kleine Flamme tänzelnd erschien. Mit der Flamme auf dem Finger zündete Sie dem stämmigen Mann die Zigarette an und danach ein Stück Papier. Das Flämmchen auf dem Daumen erlosch danach und mit dem brennenden Zeitungspapier wurde das Lagerfeuer entzündet.
Langsam erst dämmerte Igor, was er da gesehen hatte. Ihn fröstelte ein wenig und er stöhnte, weil der eingeschlafene linke Arm durch die leichte Bewegung, die er ausgeführt hatte, nun ganz arg zu kribbeln begann, als das Blut in die Adern zurückkehrte.
Durch das Stöhnen hatte er anscheinend Aufmerksamkeit erregt. Iwan trat aus der Dunkelheit von hinten auf ihn zu. „Na, alles in Ordnung bei dir?“ hörte er ihn fragen. Da Iwan kaum zu sehen war, konnte er nur den Klang seiner Stimme analysieren. Iwan wirkte ein wenig belustigt.
Wenig kreativ kam ihm als Antwort nur ein krächzendes „Linker Arm eingeschlafen“ über die Lippen.
Iwan half Igor nun auf die Beine und dieser humpelte zum Feuer, wo ihn Tulcinea freundlich begrüßte. Der stämmige Mann war verschwunden, stellte Igor fest.
„Wie geht es dir?“, fragte Tulcinea.
„Ich könnte Bäume ausreißen, wenn ich nicht so einen großen Hunger hätte“, erwiderte Igor und schaute etwas indiskret auf ein Tischchen, welches mit Lebensmitteln vollgestellt war. Anscheinend wurde gerade das Abendessen vorbereitet.
Iwan, Tulcinea und Igor wechselten noch ein paar Belanglosigkeiten und arbeiteten anschließend schweigend an der Zubereitung eines Eintopfes. Zwischendurch wurde Bier aus der Flasche getrunken.
Igors Lebensgeister waren wieder erwacht und er spürte eine Anspannung in der Gruppe. Diese stieg auch bei ihm an, als er sich an sein letztes Erlebnis zu erinnern begann. Er hatte einen Bauchschuss erlitten, die Schmerzen waren fast unerträglich gewesen und er hatte enorm viel Blut verloren, bevor er bewusstlos geworden war. Warum spürte er jetzt nichts? Unauffällig griff er sich an den Bauch und tastete herum. Aber er fand weder einen Verband noch eine Narbe. Sein Bauch war wie immer und auch wenn der drückte, schmerzte nichts.
„Wo drückt der Schuh?“, fragte Tulcinea.
„Mein Bauch. Was ist damit?“
„Es war nicht so schlimm. Wir haben dich verarztet und die Wunde ist gut geheilt.“
„Wie lange war ich bewusstlos?“
„Drei Tage. Wir sind nun nahe bei Wolgograd und haben das gefährliche Gebiet schon lange hinter uns gelassen.“
„Aber das viele Blut?“
„War nicht so schlimm. Anscheinend ein glatter Durchschuss. Dabei wurde aber auch eine größere Ader verletzt. Darum das viele Blut.“
Igor ließ die Worte auf sich wirken und bedankte sich dann noch bei den beiden, dass sie ihm so gut geholfen hatten. Das wurde wohlwollend angenommen.
Kurz vor Mitternacht war der Eintopf fertig und Igor schien es, als hätte er noch niemals so gut und niemals so viel gegessen. Anschließend trank er mit Iwan eine ganze Flasche Wodka aus und schlief wie ein Murmeltier ein.

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