ANA1-20 Transsibirische Eisenbahn 2

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

„Iwan geht es gut. Raste dich ein wenig aus!“
Igor staunte nicht schlecht über diese Nachricht auf seinem Handy. Tulcinea hatte also recht gehabt, als sie meinte, dass er sich um Iwans Gesundheit nicht zu sorgen brauchte. Aber, verdammt, der Mann lag doch in einer Blutlache und hatte mindestens drei Einschusslöcher in seiner Brust.
Igor war verzweifelt. Schön langsam kam es ihm vor, als wäre er zufällig bei den Dreharbeiten zu einem Film gelandet. Titel wie ‚Überfall im Morgengrauen‘ oder vielleicht ‚Das Grauen am Baikalsee‘ im Kopf bestellte er noch mal zwei doppelte Wodka, schluckte sie eilig hinunter, zahlte großzügig Trinkgeld und ging ein wenig wankend in Richtung seiner Schlafkabine.
Dort wusch er sich erst einmal den Schweiß aus dem Gesicht, nahm einen Schluck aus der bereitstehenden Wasserflasche und ließ sich auf sein gemachtes Bett fallen.
Einer plötzlichen Eingebung folgend öffnete er wieder die bereits geschlossenen Augen. Er hatte das Gefühl, beim sich Fallenlassen eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu haben. Und tatsächlich, die Tür war offen und Marjeka stand im Türrahmen, eine Waffe auf ihn gerichtet.
„Hallo“, sagte er einsilbig, über sich selbst überrascht, weil er so gar nicht auf diese Bedrohung reagierte.
„Darf ich reinkommen?“, fragte Marjeka
„Gerne, nimm Platz und erschieß mich doch.“ erwiderte Igor trocken und bemerkte beiläufig den Schalldämpfer an Marjekas Pistolenlauf.
„Es tut mir leid, dass es so enden muss, aber du scheinst die Seite gewechselt zu haben. Das war nicht Teil des Auftrages.“
„Aber ich musste mich ja tarnen und nur indem ich Teil des Teams wurde, konnte ich dir die Informationen zukommen lassen. Wie sonst hätte ich dir die Route und den Zeitplan mitteilen können?“ versuchte sich Igor zu rechtfertigen und seine Haut zu retten.
„Ich habe nicht vor dich zu erschießen, wenn du das befürchtest. Im Wasser ist ein Schlafmittel und ich hätte dich jetzt gezwungen es zu trinken. Aber nachdem ich nun sehe, dass du ja schon getrunken hast, leiste ich dir gerne bis zum Einschlafen Gesellschaft.
Sein vom vielen Alkohol benebelter Geist arbeitete fieberhaft, um eine Möglichkeit zu finden, Tulcinea zu warnen. Währenddessen spann er das Gespräch weiter.
„Warum verfolgst du diese Leute? Bist du wirklich Iwans Geliebte?“
Das war sowieso etwas, das er einmal gerne herausgefunden hätte.
„Zuerst glaubten wir, dass es sich um chinesische Agenten handelt. Aber nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass sie dafür viel zu stümperhaft vorgingen. Wir wurden auf sie aufmerksam, als immer mehr unregistrierte Edelsteine und Edelmetalle auf dem Markt auftauchten. Außerdem wurden in Europa und da besonders in Deutschland viel zu viele Geschäfte abgewickelt, die nicht über das internationale Bankensystem liefen. Das war verdächtig. Wir glauben inzwischen, dass es sich um Mitglieder einer großen mafiösen Organisation handelt, die in großem Stil Raubgut weißwaschen will. Dich scheinen sie gekauft zu haben.“ Sagte Marjeka, wie sie sich zumindest nannte, abfällig.
„Und nimm die Finger von deinem Handy oder was sonst du da in der Hosentasche hast, sonst mache ich davon Gebrauch“ sagte sie vielsagend auf ihre Handfeuerwaffe deutend.
„Dein Schlafmittel beginnt schon meine Finger zu verkrampfen“ versuchte Igor sein Verhalten zu erklären und nahm resignierend die Hand vom Handy und aus der Hosentasche. Das war wohl nichts.
„Bist du vom CIA?“, fragte er weiter.
„Sowas in der Art. Wir haben mehrere von deiner Sorte angeheuert, aber die waren weniger erfolgreich. du hast Talent oder Glück. Vielleicht kommst du auch aus der Sache wieder raus. Und wenn du mit uns kooperierst, sehen wir über deine Verbrüderung als ‚auftragsbedingt‘ hinweg. Also verscherz es dir nicht mit uns. Wir sind die Guten.“
„Iwan sieht das vermutlich anders“ ätzte Igor.
In Marjekas Augen blitze Ärger auf.
„Mit Gaunern und Ganoven braucht man nicht zimperlich zu sein. Glaubst du es hat Spaß gemacht auf ihn zu schießen? Aber er und sein Scheißköter haben mir keine Wahl gelassen.“
„Marjeka, oder wie du heißen magst. Das Gespräch ist wirklich sehr aufschlussreich und ich denke zu kooperieren wird wohl meine erste Wahl sein. Bevor ich jetzt einschlafe, darf ich darauf noch einen Trinken? Ich bin halt Russe, weißt eh…“. Mit diesen Worten erhob sich Igor ächzend und sehr träge, ohne auf eine Antwort von Marjeka zu warten, in der Hoffnung, dass es gut gehen würde.
Marjeka wich ein wenig zurück, die Pistole weiter auf ihn gerichtet, aber großmütig nickend.
Super, dass in Russland immer irgendetwas kaputt ist, dachte Igor bei sich und gab dem Stab, dessen eine Ende an der Tischkante verkeilt war und dessen anderes Ende die Kofferauflage über dem Bett stützte, mit der am Tisch stehenden Wodkaflasche einen Stoß. Das war so, weil die Befestigung der Kofferauflage kaputt gewesen war, als Igor das Schlafabteil bezogen hatte, und er es deshalb mit dieser improvisierten Lösung repariert hatte. Die Kofferauflage kippte sofort runter und zwei Koffer sowie etliches an Schmutzwäsche fielen nun auf Igor und Marjeka.
Die überraschte Marjeka hob instinktiv beide Hände, um sich vor den Gegenständen zu schützen, und Igor warf sich mit aller Wucht nach vorne, damit er Marjeka überwältigen könnte. Dabei überschätzte er seine durch Alkohol und einsetzende Schlafmittelwirkung reduzierte Reaktionsfähigkeit und unterschätzte die von Marjeka. So bekam er, bevor er sie erreichte, einen heftigen Hieb mit dem Pistolenknauf ab, konnte aber Marjeka trotzdem erreichen, zu Boden werfen und unter sich begraben. Er griff mit beiden Armen an ihren Hals und begann sie zu würgen.
Marjeka schien die Pistole entglitten zu sein. Sie versuchte sich vom Griff zu befreien, indem sie Igor einen Finger nach dem anderen so lange verbog, bis dieser brach. Igor war schon halb bewusstlos durch die Drogen und ignorierte die Misshandlung seiner Gliedmaßen, bis Marjeka unter seinem Druck ruhiger und ruhiger wurde. Mit dem Gefühl gewonnen zu haben schlief er auf seiner Peinigerin ein.

Previous Post Telegrafenamt Next Post