ANA1-22 Transsibirische Eisenbahn 4

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Etwa eine halbe Stunde saß Igor allein in seiner Schlafkabine und litt höllische Qualen wegen seiner gebrochenen Finger. Er trank fast pausenlos Wodka und war jetzt endgültig betrunken, als er den vereinbarten Klopfzeichen folgend die Tür entriegelte und Tulcinea und einen ihm unbekannten großen, bärtigen, bärigen Mann hereinließ.
Der Unbekannte, dessen Augen ihm aber vertraut vorkamen stellte sich als Benjamin vor.
Benjamin setzte sich aufs Bett und forderte Igor auf es ihm gleichzutun. Benjamin griff dann mit viel Feingefühl nach Igors geschundenen Händen. Igor spürte wie Wellen von Wärme und Wohlgefühl sich in seinen Fingern und Händen ausbreiteten und sah zu wie Benjamin mit kräftigen Händen seine gebrochenen Finger mühelos zurechtrückte. Die Schwellungen gingen auch zurück und nach weniger als zwei Minuten waren nur mehr ein paar Rötungen und blaue Stellen als Beweis für die ehemals schweren Verletzungen übrig. Benjamin, der bis dahin voller Konzentration über Igors Hände gebeugt war, schnaubte noch einmal tief durch, ließ Igors Hände los, schaute auf und sagte ein befreites „Na, geht ja wieder“ und grinste Igor dabei freundlich an.
Igor schwankte zwischen den Überlegungen, dass der Wodka wirklich Wunder wirke und ihm nun auch seine Wahrnehmung Streiche zu spielen begänne und dem Gedanken, dass er jetzt endgültig Wahnsinnig wäre, weil er die Welt nicht mehr verstünde. Fast im Minutentakt passierte derzeit für ihn kaum begreifliches. Er starrte Benjamin mit hinuntergeklapptem Kiefer eine Weile an und schwenkte mit dem Blick dann zu Tulcinea, die ihn freundlich, besorgt und ernst zugleich betrachtete. Eventuell machte sie sich auch gerade Sorgen um seinen Geisteszustand.
„Irgendwann muss mir jemand erklären, was da los ist“, sagte er zu niemand konkret und nahm einen weiteren Schluck Wodka.
„Eine letzte Sache Igor: Kannst du mit Benjamin in meine Schlafkabine mitkommen. Es gibt da noch etwas zu tun, dann kannst du deinen Rausch ausschlafen. Morgen bekommst du dafür Antworten.“
Tulcinea holte ihn damit in die Wirklichkeit zurück.
Sie standen auf und gingen zu dritt einen Waggon zurück, an einem Steward vorbei, der selbst eine kleine Alkoholfahne hatte und betraten nach dem Aufsperren Tulcineas Kabine. Dort war es nun sehr beengt, weil am Boden zwei reglose, kräftige Gestalten lagen.
Nachdem Benjamin und Igor sie fragend ansahen erklärte sie kurz angebunden „die haben mir aufgelauert und wollten mich in Handschellen legen. Zum Glück haben sie meine elektrisierende Wirkung unterschätzt“ fügte sie hinzu.
„Aber musstest du sie gleich mit dem Elektroschock umbringen?“, fragte Benjamin leicht vorwurfsvoll.
„Es waren zwei und es musste schnell und lautlos gehen. Nicht alle haben so ein Glück wie Igor, dass sie nur von einem Gegner angegriffen werden“ schmunzelte Tulcinea. Respekt, die Frau hat Humor, dachte Igor, tödlichen Humor ergänzte er in Gedanken.
Benjamin brummte noch etwas, griff sich jedoch gemeinsam mit Igor die erste reglose Gestalt und schob sie in den von Tulcinea in den Raum gezeichneten flirrenden Luftkreis. Beide Gestalten verschwanden darin und Igor wurde aufgefordert zu folgen.
Er schaute Benjamin und Tulcinea erst zweifelnd, kurz darauf etwas verzweifelt an, ließ sich jedoch von Benjamins kräftigen Händen in den Luftkreis schubsen. Er spürte ein kurzes leichtes Ziehen, stolperte ein wenig und fand sich am Boden des Güterwaggons wieder, wo er gleich neben zwei Leichen zum Liegen kam.
An der Wand saß ein etwas blasser Iwan, eine Pistole in der Hand und auf einer Pritsche lag Marjeka. Mehr konnte Igor nicht erkennen, weil in dem Augenblick Benjamin auf ihm landete und ihn dabei fast erdrückte.
Benjamin stand geschickt auf, achtete darauf Igor nicht zu drücken oder sonst wie unangenehm zu berühren und gab für Igor den Blick frei auf einen flirrenden Luftkreis mitten im Waggon, der flugs mit einem leisen Plopp in sich zusammenfiel und verschwand.

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