ANA1-28 Küstenwache

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Russen oder Amerikaner?
Diese Frage stellte sich Igor hunderte Male, bevor sie von einem amerikanischen Küstenwachboot entdeckt wurden, das vor Alaska patrouillierte. Also die fleißigen Amerikaner, dachte er damals bei sich.
Jetzt, wo das Boot zügig näher kam und man bereits die Umrisse der Aufbauten erkennen konnte, wurde ihm immer mulmiger. Tulcinea hatte Iwan angewiesen keine Funkanrufe zu beantworten und stur den eingeschlagenen Kurs beizubehalten. Nichtsdestotrotz funkte das amerikanische Schiff unablässig Aufforderungen sich zu melden. Weiters wurde die Montenaken aufgefordert zu stoppen und ein Enterkommando an Bord zu lassen. Man wolle überprüfen, ob alles rechtens sei.
Merkwürdig dabei war, dass die Montenaken in internationalen Gewässern unterwegs war und nie amerikanische Hoheitsgewässer gekreuzt hatte. In dieser Hinsicht waren sie eigentlich recht umsichtig und vorsichtig gewesen.
Darum waren sie sich in der Annahme einig, dass der amerikanische Geheimdienst dahinter steckte und jetzt versuchte, die Ladung und Personen, die sie schon lange im Fokus hatten, dingfest zu machen. Ein Küstenwachschiff konnte das gut erledigen und es war vermutlich diplomatisch ziemlich unauffällig.
Seit dem ersten Auftauchen des Bootes war es auf der Montenaken geschäftig geworden. Marjeka wurde wieder gefesselt in einer Kabine untergebracht und hatte keinen Freigang auf Deck mehr. Iwan verlangte von Igor, dass er ihm aus einem Zeitzünder und mehreren Sprengsätzen eine leistungsfähige Bombe zusammenbaute, die man einfach mit einer kleinen Drahtschlaufe aktivieren konnte. Für Igor eine einfache Übung. Nur wusste er nicht, wozu diese Bombe dienen sollte. Wollte man damit das Enterkommando angreifen?
Als die ‚USCGC Bertholf‘, so hieß das Schiff der Küstenwache, auf etwa zwei Kilometer herangekommen war, wurde mittels Megafon die baldige Ankunft eines Enterkommandos angekündigt und auch mitgeteilt, dass im Falle von Widerstand scharf geschossen werden würde. Die Bertholf verfügte über eine mächtige Bordkanone, welche drohend zur Montenaken ausgerichtet war.
Tulcinea, Igor und Benjamin standen an der rückseitigen Reling und beobachteten, wie ein großes Schlauchboot zu Wasser gelassen wurde und sich vier Uniformierte mit Helmen und Schwimmwesten ins Boot hinunterseilten. Der Außenbordmotor begann zu tuckern und das Boot kam mit einer beachtlichen Geschwindigkeit auf die Montenaken zu. Vorne hockten zwei Männer mit einem Enterhaken und in der Mitte des Motorbootes befand sich eine Lafette mit einem Maschinengewehr, welches von einem weiteren Gardisten besetzt war. Der Vierte saß am Heck und bediente den leistungsfähigen Außenbordmotor.
Igor widerstand dem starken Impuls, die Hände hoch in die Höhe zu heben, um zu zeigen, dass er nichts Böses im Schilde führte, hielt stattdessen aber verkrampft die vereiste Reling mit seinen dick behandschuhten Händen umschlossen.
Igor sah, dass Benjamin einen fragenden Blick Richtung Tulcinea warf und dann etwas Unverständliches murmelnd mit den Händen zu gestikulieren begann. Diese Bewegungen sahen sehr gut geübt und geschmeidig aus, aber etwas anderes geriet in den Fokus seiner Aufmerksamkeit. Wellen. Ja richtig, das eigentlich recht ruhige Meer schaukelte sich mit enormer Geschwindigkeit hoch und mannshohe, gleich darauf mehrere Meter hohe Wellen brachten das Schlauchboot in arge Bedrängnis. Das Boot wurde hin- und her gerissen, tanzte einmal auf einer Wellenkrone, fiel gleich darauf in ein tiefes Wellental, aus welchem es in arger Schräglage und mit um ihr Leben kämpfender Besatzung wieder auftauchte. Alle vier Matrosen hatten sich sofort mit kurzen Seilen und Karabinern gesichert. Das war auch unbedingt notwendig. Während die Besatzung des Schlauchbootes darum kämpfte, wieder die Kontrolle über ihr Schiff unter widrigsten Bedingungen herzustellen, kam auch noch ein Nebel auf. Zuerst war die Luft etwas getrübt, aber diese Trübung formte sich zu einer massiven Nebelwand, welche sich wie zufällig zwischen Montenaken und Bertholf schob und das Schlauchboot darin verschwinden ließ.
Igor staunte nicht schlecht über dieses Phänomen, welches gerade zur rechten Zeit am rechten Ort auftauchte, obwohl es mitten an einem klaren, sonnigen arktischen Tag so etwas einfach nicht geben dürfte.
Seinen gebannten Blick vom Szenario lösend drehte sich Igor zu Tulcinea und Benjamin, um zu fragen, welche Zauberei diesmal im Spiel war. Sehr zu seiner Überraschung saß da aber statt Benjamin ein ausgewachsener Seeadler, der von Tulcinea gerade die Sprengladung angehängt bekam. Jene Sprengladung, die Igor gebaut hatte und welche leicht mit einer Metallschlaufe zu aktivieren war. Sogar für einen Adler mit Krallen und hellem Geist!
Riesenschwingen ausbreitend erhob sich das edle Tier in die Lüfte, kreiste zuerst ein paar Mal um die Montenaken, bevor es an Höhe gewann und in Richtung des Wachschiffes davonflog.
Etwas später hörte man aus der Ferne das dumpfe Dröhnen einer Explosion. Nach etwa zehn Minuten kam der Adler wieder zurück, landete und verwandelte sich vor Igors Augen noch während der Landung in einen ausgewachsenen Menschen, welcher eine dicke Winterjacke trug. Benjamin war wieder da und Igor fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, so überwältigt war er von dieser Verwandlung.
Benjamin kümmerte sich alsdann wieder um das Meer und die Nebelbank, sodass die Montenaken scheinbar allein und ungestört weiter nach Norden ziehen konnte, hinter sich einen Sturm und eine Nebelbank herziehend. Den ganzen Nachmittag, die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag war nichts mehr von dem Wachschiff zu sehen oder zu hören.
Erst einen Tag später wagte es Igor und erkundigte sich bei Benjamin, was er denn auf dem fremden Schiff angerichtet habe und ob jemand zu Schaden gekommen wäre. Benjamin erklärte recht freizügig, wie es war:
Als Adler getarnt, wurde er zwar von der Besatzung registriert und auch beobachtet – ein ausgewachsener Seeadler war so weit im Norden schon ein recht ungewöhnlicher Anblick – dies aber nicht mit besonderer Aufmerksamkeit. Am Schiff herrschte hektische Betriebsamkeit wegen dem in Seenot befindlichen Beiboot. So konnte Benjamin auf dem Hauptturm landen und seine Sprengladung nahe am Radar positionieren.
Beim Wegfliegen setzte er zwei weitere seiner Fähigkeiten ein: er ließ auf der Kommandobrücke einen Schwarm Insekten erscheinen, welche die Besatzung peinigte und er setzte die Brücke danach unter Wasser. Benjamin sagte Igor nicht, wie er das bewerkstelligt hatte, aber wenn dies tatsächlich geschehen war, dass die Brücke mit stechenden Insekten und einem Schwall Wasser geflutet worden war und kurz darauf das Radar durch eine Explosion ausgefallen war, dann war klar, dass dieses Schiff lange Zeit nicht mehr für eine Verfolgung taugte. Zumindest nicht, bis die empfindlichen Computer auf der Brücke wieder wasserfrei waren.
Man war tatsächlich, unter Einsatz übernatürlicher Kräfte, noch einmal davongekommen. Aber niemand an Bord war so naiv anzunehmen, dass es bei diesem einen Versuch bleiben würde. Der Kurs der Montenaken wurde sicherlich genauestens über Satelliten oder Aufklärungsflugzeuge verfolgt und die Frage war nicht ob, sondern wann und wie die nächste Attacke aussehen würde.
Tulcinea war aber zuversichtlich und sie zeigte Igor den Grund ihrer Zuversicht auf der Seekarte.
„Schau hier – in zwei Stunden erreichen wir mit der aktuellen Geschwindigkeit die rot eingezeichnete Linie. Wenn wir da ankommen, sind wir in Sicherheit. Komm mit, wir beginnen mit den Vorbereitungen zur Evakuierung.“
Wieder einmal verstand Igor nur, dass er einfach folgen sollte. Der Rest würde sich zeigen.

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