ANA1-25 Rendezvous auf See

ANA1
Kategorie: Story Autor: ANirgends

Voller Anspannung beobachtete Igor das Ablegemanöver. Ein Hafenarbeiter löste die letzten Taue und der Hafenmeister, sein Klemmbrett unter dem Arm, winkte neben seinem rostigen Range Rover stehend dem ablegenden Schiff zu. Der hat heute sicher ein bis zwei Monatseinkommen extra bekommen und wird sich hüten das jemandem zu sagen, dachte Igor und spähte den karg beleuchteten Hafen entlang, sorgenvoll schauend, ob er nicht doch irgendwo eine verdächtige Person erkennen konnte. Aber außer ein paar Matrosen sah er niemanden. Als die ‚Montenaken‘, so hieß der Fischkutter, sich seewärts drehte, verlor er den Hafen aus seinem Sichtbereich und fixierte stattdessen den nun vor ihm liegenden Leuchtturm am Ende der Hafenmauer. Der Diesel rumorte nun lauter im Schiffsbauch, der Schiffsboden unter Igors Füßen zitterte leicht und in der Luft roch es nun nach den Abgasen von billigen, schwefelreichen Diesel. Möwen folgten kreisend und kreischend dem Seefahrzeug, in der Hoffnung auf leichte Beute in Form von Beifang. Da werdet ihr diesmal wohl umsonst warten, dachte Igor und begann wieder einen seiner Kontrollgänge an Deck. Der erste Kontrollgang von vielen auf offener See, bis der Kapitän die angegebene Position etwa 20 Seemeilen von der Küste entfernt erreichte und das Schiff zum Stillstand kam.
Die nächsten zwei Stunden war Igor nun dazu verdammt auf einem unbeleuchtet, in den Wellen tanzenden Schiff darauf zu warten, dass seine neuen Freunde es schaffen würden herzukommen. Er hatte keine Ahnung was er tun würde, falls dem nicht so wäre und verdrängte alle Gedanken an ein Misslingen.
Noch 1 Stunde und 58 Minuten. Wo bleiben sie denn?
Noch 1 Stunde und 45 Minuten. Warum dauert das so lange?
Noch 1 Stunde. Ist denn auch die Uhr nicht stehen geblieben?
Igor war unglaublich nervös, während der Kapitän gemütlich hinterm Steuer saß und Musik hörte und seine Leute vermutlich schliefen, malte sich Igor eine Variante des Scheiterns nach der anderen aus.
Bis, ja, bis aus der Ferne ein leises aber stetes Motorengeräusch zu hören war. Etwa 20 Minuten später kam ein kleines Schlauchboot mit Außenbordmotor näher, von welchem eine Taschenlampe Blinkzeichen gab. Blinkzeichen die Pawlow mit einem Scheinwerfer beantwortete. Ein Maat ließ eine Strickleiter runter. Unten fasste Tulcinea etwas unsicher nach den Seilen, bekam sie zu fassen und schaffte es sich daran hochzuarbeiten.
„Sollen wir das Boot an Bord holen, Madame?“, fragte Pawlow, doch Tulcinea winkte ab.
„Benjamin bringt das Boot zurück. Wir wollen nicht, dass es auf dem anderen Schiff dann fehlt. Holt die Strickleiter ein. Wir fahren los.“ Tulcinea war etwas blass und unsicher auf den Beinen, sonst aber recht guter Dinge.
„Sehr gut gemacht, Igor. Und hallo Pawlow, ich bin die Neue an Bord“ sagte sie zum überraschten Kapitän. Dieser ging mit Tulcinea zur Kommandobrücke und kurz darauf nahm das Schiff Fahrt auf in Richtung offene See.
Tulcinea kam kurz darauf zurück zu Igor und drückte ihm eine sehr starke Taschenlampe und einen Kompass in die Hand.
„Leuchte damit so gut es geht permanent nach West-Nordwest, damit Benjamin den Weg zu uns findet“ waren ihre Worte dazu. Igor war es inzwischen gewohnt manche Dinge einfach so zu nehmen, wie sie kamen und tat wie ihm geheißen.
Kurz vor dem Morgengrauen kam direkt vor ihm aus der Dunkelheit ein großer Vogel auf ihn zugeflogen, Igor hielt ihn für einen Adler. Und ehe er sich von dem Schrecken erholen konnte, landete dieser auf einem der Seile im Mittelteil des Schiffes. Als Igor die Taschenlampe schwenkte und den Lichtstrahl über diese Fläche gleiten ließ, saß dort Benjamin der sich die Hände vor die geblendeten Augen hielt und breit grinste.
„Was zum Geier?“, entfuhr es Igor und er lachte erleichtert, laut auf.

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